Die lange Nacht der Avantgarde

Oktober 2001

„Art Night“ in der Alten Markthalle mit Peter Lohmeyer – Henry-Miller-Performance – Matucana und Mariano – Ausstellung

Kunst in Aktion, Wort, Musik, Tanz: Wenn der Tag geht, bricht die „Art Night“ an: am 27. Oktober in der Alten Markthalle. Dort versammelt sich die kreative Avantgarde von Aloys Rump bis Hu Haifeng. Clou des Abends: Die Henry-Miller-Leseperformance mit Schauspieler Peter Lohmeyer und Noise-Painter Helge Leiberg.

KOBLENZ. Provokation und Nostalgie: Der gar nicht so „Stillen Tage in Clichy“, jener Paris-Erinnerungen des einst so provokativ wirkenden Henry Miller (1891-1980) nimmt sich die Leseperformance im Mittelpunkt der „Art Night“ vom 27./28. Oktober in der Alten Markthalle an.

Aktionsmaler Helge Leiberg und Gitarrist Lothar Fiedler greifen mit ihrem neuesten Projekt das Werk eines Klassikers der Moderne auf, der der Beat- und Hippiegeneration in Lebensstil und Werk zum Vorbild geriet.

Galerie Steinacker, Alter Markthalle und dem Stadttheater Koblenz gelang es, für den Lesepart der Miller-Performance (ab 20 Uhr) Peter Lohmeyer zu verpflichten – einen Schauspiel-Promi, der dem großen Publikum bekannt ist unter anderem durch seine Rollen in „Die Straßen von Berlin“ (Pro 7) und dem Film „Kaspar Hauser“.

Die „Stillen Tage in Clichy“ löst sich vom altbekannten Wechsel von Lesung und Musik. Das Bild wird Bühnenbild, das Entstehen der Bilder im Prozess läuft ab wie ein Film. Der Text wird in Übertragungen hör-und sichtbar.

Giorgio Crobu, einer der führenden Jazz-Gitarristen, ergänzt in seinen Soli Lothar Fiedler, improvisiert im Stil eines Django Reinhardt über den Klangteppichen von Fiedler, lässt den Stil der 30er Jahre in Paris, jener offenen, lebensgierigen, experimentierfreudigen Zeit zwischen den Kriegen, anklingen.

Ihren je eigenen Beitrag zur „Art Night“ liefern mit Aloys Rump, Martine Andernach, Helge Leiberg, Franziskus Wendels, Malte Brekenfeld, Eva Maria Enders, Christiane Schauder, Setsuko Ikai, Dieter Portugall, Lao Zhu, Gao Yingjin, Jürgen Reichert, Manfred Mahsberg und Hu Haifeng.

Klangliches Neuland erwartet die „Art Night“-Besucher ab 22 Uhr mit Matucana, der Band um die beiden Chilenen Sergio Terán, Pablo Paredes und Schlagzeuger Uli Krämer: Sie verschmelzen Klänge der Alten und der Neuen Welt – zusammen mit Sax-Größe und Altmeister Charlie Mariano.

Eröffnet wird die „Art Night“ bereits um 18 Uhr; eine Stunde später stellen x-dream und Tänzer des Stadttheaters eine neue Choreografie von Michelle Branson vor.

Lange Nacht und kein Ende: Am Sonntag (12 Uhr) geht`s weiter mit den Drumbassadors. René Creemers und Wim De Vries trommeln auf höchstem Niveau – von Afrorhythmen bis zum HipHop. Es folgen Steps, Dance- Art Pietjou (Hip-Jazz-Hop & more) und Beam-Team. (spe)

Rhein-Zeitung – Ausgabe Koblenz Stadt vom 09.10.2001, Seite 18.


„Ein unvergesslicher Abend“

RZ vom 29. Oktober: „Lesen, malen, spielen und improvisieren“ (Art-Night in der Alten Markthalle)

Die Neugier trieb mich in die alte Markthalle, in Erwartung der hochrangigen angekündigten Künstler. Durch die besondere Umgebung wurde man beim Betreten der gigantischen Halle in eine spezielle Atmosphäre in Spannung versetzt, die den ganzen Abend anhielt. Die Zusammenstellung der Künstler, deren Werke an den rustikalen hohen Wänden der alten Markthalle besonders gut zur Geltung kamen, die den Zuhörer/-schauer in Staunen versetzende Darbietung von X-Dream in Zusammenarbeit mit Tänzern des Stadttheaters, die anschließende erotische Leseperformance von Peter Lohmeyer, zu der Helge Leiberg mit dem Pinsel an der riesigen Leinwand nur so explodierte, und abschließend Charlie Mariano (!) machten diesen Abend zu einem unvergesslichen Moment, der mir gezeigt hat, dass es auch in Koblenz möglich ist, mit einem Kunstforum der besonderen Art in einer dafür geeigneten Umgebung ein Publikum zu faszinieren. Ich danke den Veranstaltern für dieses Erlebnis und hoffe, dass es gerade in der alten Markthalle weitere Events dieser Art geben wird. Moni Löf, Lahnstein

Lesen, malen, spielen und improvisieren 

„Die Art-Night“ in der Alten Markthalle bot nicht nur wollüstige Körper, heiße Texte, schrille Töne KOBLENZ. Die Lebensfreude ist unbekümmert, überschäumend im Paris der 30er Jahre: Bohemeleben oft am Rand des Existenzminimums, eingetaucht im Rotlichtmilieu, prickelnd wie melancholisches Flair von Montmartre. Henry Millers „Stille Tage in Clichy“, sind wie geschaffen für eine außergewöhnliche Performance. Die erste „Art- Night“ in der Alten Markthalle hielt, was sie versprach. Nicht nur beim Top act, der Text, Musik und Aktionsmalerei zu einem kreativen Happening auf der Bühne, beim Publikum zu einer unmittelbaren Erlebnisreise mit vielen Überraschungen führte. Da sitzt, steht und liegt Peter Lohmeyer. Der Schauspieler liest Ausschnitte aus Millers stark autobiographischem „Skandalwerk“, während Helge Leiberg mit Feder und Tusche, aber auch mit bunten Pinseln Szenen der Wollust entstehen und wieder verschwinden lässt. Im Mittelpunkt der Story stehen (käufliche) Frauen und Cafés. Ich-Erzähler Joey lernt Nys kennen, die nicht als Professionelle eingeordnet werden will. Kohle nimmt die Dame aber, um deren Phlegma, Indolenz und Sorglosigkeit sie der Buch-„Held“ beneidet. Eine Hure, vielleicht geistlos, aber einerLeichtigkeit des Seins frönend, heißblütig und verführerisch. Mit sicherer Hand, lässig, beinahe wie dahingepinselt, entstehen parallel dazu über den Overhead-Projektor die Konturen eines Freudenmädchens, schwarze Striche, die zu einem ausladenden Profil führen, rote Lippen setzen dem Ganzen das farbige I- Tüpfelchen auf. Dazu noch die Umrisse des männlichen Liebhabers und im Nu verschmelzen die Körper. Text und Bild sind für einen Moment deckungsgleich. Ist das Spiel zwischen Sprache und spontaner Zeichnung schon Genuss an sich, toppen elektrische wie akustische Töne das Projekt. Ob neben oder außerhalb der Erzählung, die beiden Gitarristen greifen mal zurückhaltend, dann wieder mit viel Verve ins Geschehen ein. Giorgio Crobu swingt, reißt Django Reinhard-Riffs an, bringt Wes Montgomery-Klänge ins Spiel, ohne traditionell nur zu adaptieren. Ganz anders, aber kongenial ergänzend, gestaltet sich der Part von Lothar Fiedler. Samplings, sparsame Rockeffekte wie klassische Anleihen ertönen aus den Boxen. Nicht weniger brillant ist der Auftritt von x-dream. Die Formation wandelt in kosmischen Trancewelten, Pink Floyd- und Can-Dimensionen nahe, trotzdem eigenständig. Wunderbaren fetzigen Klanghintergrund bietet das Sextett dem Tanzquintett vom Stadttheater, das peppig wie ausdrucksstark die tolle Choreographie Michelles Bransons umsetzt. Mehr Aufmerksamkeit und Publikumszuspruch (hinterbänklerisches Geschwätz) hätte die Gruppe Matucana verdient. Südamerikanische Folklore, durchsetzt von europäisch-nordamerikanischem Rock-Jazz: Gaststar Charlie Mariano schafft es immer wieder, zu den El Condor Pasa-Flöten-Tönen den notwendigen improvisatorischen Kontrast zu blasen. Nicht zu vergessen sind die ausgestellten phantastischen Werke avantgardistischer Künstler von Manfred Mahsberg bis zu Franziskus Wendels.

Michael Schaust Rhein-Zeitung – Ausgabe Koblenz Stadt vom 29.10.2001, Seite 16.