Sinnlichkeit und Disziplin – zwei zunächst widersprüchlich scheinende Eigenschaften – vereinigt Eva Maria Enders in ihrem künstlerischen Schaffen zu Werken von großer Subtilität und sublimer Ästhetik. Wir begegnen einerseits verführerischen Oberflächen, haptischen Reizen und ansprechender Farbigkeit von üppig-warmem Rot-Orange bis hin zu winterlich-kühlem Weiß-Blau, andererseits graphischer Ordnung und konsequenter Beschränkung auf wenig Grundelemente. Sinnliche Opulenz tritt in eine spannende Verbindung mit der Prägnanz graphischer Kargheit und dem Sinn für das Kalligraphische. Dieser wurde unter anderem während zahlreicher China-Aufenthalte, u. a. als Gastprofessorin an der „Academy of Fine Arts Tianjin“, intensiviert. Zwischen verschiedenartigen parallelen Strukturen streng gezogener Linien entfaltet sich ein „Thema“ – vergleichbar den Sätzen eines Musikstücks bestimmter Tonart – in Variationen von Bild zu Bild. Mit Improvisation und ihrem stets souveränen und bejahenden Umgang mit dem Zufälligen verleiht Eva Maria Enders ihren Bildern große Lebendigkeit. Material, etwa eine grobe Leinwand, sowie – ähnlich der „écriture automatique“ – Ab- und Eindrücke bringt sie zur Wirkung. Jedes Bild hat seine eigene charakteristische Struktur, die weder als abstrakt noch als konkret zu bezeichnen wäre. Nicht zufällig mobilisieren diese zauberhaften Bildpartituren unser optisches Gedächtnis mit Erinnerungen an Gesehenes, etwa an einsame Landschaften, Reflexe des Lichtes auf einer Wasserfläche, Maserungen und Rinden von Holz, übereinanderliegende Schichten alter Wandmalerei und sprödes Mauerwerk. Sie sensibilisieren und kultivieren unsere Augen für ein bewußteres Wahrnehmen unserer Umgebung und die Freude, ihre verborgene Schönheit zu entdecken. Diese Werke können so nur entstehen, weil diese Künstlerin die wichtige Gabe und Voraussetzung allen bildnerischen Schaffens besitzt, nämlich die Welt mit allen Sinnen, vor allem mit beiden Augen, wahrzunehmen. Kultur und Weltoffenheit erlebte sie nicht nur in einer traditionsreichen Kulturlandschaft, sondern auch in der Galerie der Mutter, wo sie von Kindheit an Begegnungen mit erstklassiger Kunst und zeitgenössischen Künstlern hatte. Eva Maria Enders geht mit offenen und hellwachen Augen durch die Welt, und so war es nur selbstverständlich, dass sie ihre Berufung auf dem Gebiet des Visuellen und Bildnerischen sah. Wichtige Grundlage für ihre künstlerische Arbeit bildet das Studium der Textilgestaltung, das ihre Sensibilität für Strukturen und Stofflichkeit in entscheidender Weise förderte. So sind ihre Bilder oft wie dicht gewobene Textilien aus übereinandergelagerten Farbschichten, die sie mit dem Pinsel oder der Spachtel aufträgt. Techniken und Materialien werden gekonnt gemischt: Dispersionsfarben, die schnelles Arbeiten verlangen und Transparenz ermöglichen, kombiniert die Künstlerin etwa mit Temperafarben und dick angerührten Farbpigmenten. Durch Abdrücke, Eindrücke sowie Abschabungen entstehen Farbgewebe von großem sinnlichen Reiz, die das Auge mit einem faszinierenden Wechselspiel vielfältiger Struktur in ihren Bann ziehen und – wie in der asiatischen Kultur – zur Meditation des Gegensätzlichen anregen. Ordnungssinn verbindet sich mit erfrischender Spontaneität, das Lineare mit dem Malerischen, die Dynamik mit der Ruhe und die Wiederholung mit spielerischer Variation. Die Besonderheit dieser Musterungen liegt darin, dass sie stets wie ein Ausschnitt aus einem Ganzen wirken, das der Betrachter in seiner Vorstellungskraft geistig fortsetzen kann. Anders als die klassische, hierarchisch gegliederte Bildkomposition mit ihrem abgeschlossenen Charakter entsprechen die bildnerischen Prinzipien von Eva Maria Enders, die als offen, dynamisch, seriell und variabel zu charakterisieren sind, in hohem Maße der Wahrnehmung unserer Zeit. So liegt ein großes Verdienst ihrer Arbeit darin, eine nicht nur bejahende, sondern auch überzeugende Antwort auf die Frage nach der Fortexistenz der Malerei gefunden zu haben. Dies ist nicht zuletzt ihrer Zielstrebigkeit und Beständigkeit zu verdanken, die sie in die Lage versetzen, vieles auszuschließen und fernzuhalten, indem sie die Vielfalt und Komplexität von Farbe und Struktur in den Vordergrund rückt. Eine wichtige Initialzündung für diesen Weg ist die Begegnung mit ihrem Lehrer K.O. Götz und der Informellen Kunst. Eva Maria Enders Position ist erfrischend zeitlos und unberührt von rasch vorüberziehenden Modeerscheinungen der Kunst oder gar der Schnelllebigkeit allein vom Medium geleiteter Neuheit. Sie stellt sich bewusst in die große und Jahrhunderte alte Tradition der Malerei, und stellt deren Lebendigkeit unter Beweis.
Anna-Maria Ehrmann-Schindlbeck