Mario Kramp zu Eva Maria Enders:
Farbräume Rudolf Hausner sagte von sich, er habe den „Tatra-Blick“. Der spätere Begründer der „Wiener Schule des Phantastischen Realismus“ war 1942 mit anderen Soldaten vier Tage in der Hohen Tatra in einem Blockhaus eingeschneit und versenkte sich dort in die Maserungen des Holzes, in der er die wunderbarsten Landschaften fand. Nach dem Krieg nach Wien zurückgekehrt, fand er eines seiner unvollendeten Werke, stellte es auf den Kopf – und es enthüllte seinem „Tatra-Blick“ hoch interessante differenzierte Strukturen. In einer vergleichbaren Situation, auf sich allein gestellt in der Wehrmacht, habe er, so Karl Otto Götz, nach Feierabend Heidelandschaften für seine Offiziere gemalt – unter dem Tisch, aber, in einem Geheimfach, seine „abstrakten Fotomalereien“. gestapelt. Im Kriegseinsatz in Norwegen schuf er die ersten Arbeiten zu seiner „Fakturenfibel“. Was bei Hausner zu einer Art Weiterentwicklung des Surrealismus führte, führte bei Karl Otto Götz zur Weiterentwicklung der abstrakten Malerei: beides hervorgegangen aus der einsamen Beschäftigung mit gestalterischen Strukturen jenseits einer gesellschaftlich angepassten naturalistischen Abbildung. Es ist kein Zufall, dass eine solcherart empfindsame Hinwendung zur Struktur auch ein Grundfaktor in der Kunst der Eva Maria Enders wurde – allerdings unter gänzlich anderen biographischen Voraussetzungen. 1963 in Koblenz geboren, studierte sie den Beruf der Textil- und Bekleidungsingenieurin an der Fachhochschule Niederrhein in Möchengladbach. Doch Enders war keineswegs gewillt, es bei der in der vorgesehenen praktischen Fertigung vorgegebenen und dementsprechend eingeengten Definition des „Musters“ zu belassen. Sie wollte nicht Textilgestalterin bleiben, sondern Künstlerin werden. Dies fand zunächst seinen Niederschlag in der Erweiterung Ihrer Ausbildung. Noch während Ihres Studiums nahm sie Unterricht bei Hajo Hangen an der Europäische Akademie für Bildende Kunst in Trier. Bei K. O. Götz und Rissa – beide in der Koblenzer Region ansässig und an der Düsseldorfer Kunstakademie lehrend – und Professor Oettershagen an der Fachhochschule Niederrhein schrieb sie ihre Abschlussarbeit über den Tachismus. Was auf den ersten Blick wie ein Widerspruch aussieht – hier die traditionelle dekorative Anwendung textiler Muster, dort die gestisch aufgeladene abstrakte Malerei der 1950er und 1960er Jahre – enthüllt beim näheren Hinsehen Zusammenhänge und Verwandtschaften, Hans Arp bemerkte: „Die abstrakte Malerei hat als Grundlage das Bildmuster, welches (…) in einem, oft verborgenen Bezug zum Zufall steht. Indirekt zeigt sich die Musterförmigkeit der abstrakten Malerei daran, dass sie sich sehr leicht auf dekorative Musterung aller Art, besonders der textilen, übertragen lässt….“ Enders fasst es aus der Sicht Ihrer Arbeitspraxis zusammen: „Von der Natur gegebene interessante und vielgestaltige Strukturen dienen mir als Formfindung und geben Impulse“, während K. O. Götz „durch die Bewegtheit des Farbauftrags und das improvisierende Moment, das immer auch mit der Gunst des Zufalls rechnet (…) einer abstrakten Dekorationsmalerei entgangen“ ist. Die Beweglichkeit der Eva Maria Enders zeigt sich nicht zuletzt in ihrem gesellschaftlichen Engagement. 1992 wurde sie Gründungs- und Vorstandsmitglied der „Aktionsgruppe Rheinland-Pfälzischer Künstler e.V.“, doch blieb ihr Horizont keineswegs auf die regionalen Bezüge des Koblenzer Raums beschränkt. Studienreisen führten sie seit 1994 in den Fernen Osten, bescherten ihr gar eine Gastprofessur in der Volksrepublik China – wie überhaupt die Begegnung mit der großen kalligrafischen Tradition des alten China ihrer Arbeit neue Impulse gab. Zahlreiche Künstleraustausche, Vorträge, Lehraufträge, Ausstellungen und Kulturelle Veranstaltungen, zuletzt im Jahr 2000 vom chinesischen Kultusministerium, der Kunstwissenschaftlichen Fakultät der Universität Peking und der Deutsch-Chinesischen Wissenschaftsstiftung KKT, schlossen sich an. Kein Wunder, dass Eva Maria Enders auch über vielleicht immer noch vorhandene deutsch-deutsche „Grenzen“ geht. 2002 erhielt sie einen Lehrauftrag an der Fachhochschule Jena im Bereich „Photographische Entwurfsgestaltung/ Informantik“. Seitdem lebt und arbeitet sie in Koblenz und Jena – und in der Volksrepublik China auf zahlreichen regelmäßigen Reisen. Das gemeinsame Engagement, Eva Maria Enders diese von einer Publikation begleitete Ausstellung im Jenaer Kunstverein und im Mittelrhein-Museum Koblenz zu widmen, ist eine folgerichtige rheinisch-thüringische Koproduktion, der der verdiente Zuspruch in beiden Städten zu wünschen ist.
Dr. Mario Kramp Museumsleiter Mittelrhein-Museum Koblenz